Lisa-Katharina Möhlen, BA MA

Arbeitstitel: Das ambivalente Verhältnis von internationalem Recht auf Inklusive Bildung und die Umsetzung mit dem Sonderpädagogischen Förderbedarf in Österreich und Deutschland
Betreung: Michelle Proyer; Julia Gerick
Zeitraum:Dezember 2021 – November 2024
Kontakt: lisa-katharina.moehlen@univie.ac.at

 

Mein Dissertationsprojekt trägt zur wissenschaftlichen Diskussion um den Sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) als Diagnoseinstrument im österreichischen und deutschen Schulsystem bei. Einerseits kennzeichnet und stigmatisiert der SPF Schüler*innen, die von Bildungsstandards abweichen, die dem regulären Curriculum nicht folgen oder die erwarteten akademischen Leistungen nicht erbringen können. Andererseits erhalten Schüler*innen durch das SPF-Ettiket, besondere Fördermaßnahmen und individuelle Unterstützung.

Während internationale Rechte eine inklusive Bildung für alle Kinder unabhängig von festgestellten Behinderungen, sozioökonomischem Migrationshintergrund, Alter oder Geschlecht fordern, erhalten in Österreich ca. 5 % aller Schüler*innen ein SPF, in Deutschland sind es ca. 7 %. Der Prozentsatz der SPF-Feststellungen stagniert in Österreich bzw. steigt in Deutschland leicht an. In beiden Ländern ist eine steigende Zahl von SPF-Schüler*innen in segregierten Einrichtungen, Sonder- und Förderschulen, zu beobachten. Auch fast zwei Jahrzehnte nach der Ratifizierung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind die österreichischen und deutschen Schulsysteme noch immer auf Exklusion und Segregation ausgerichtet.

Die Feststellung des SPF setzt sich zusammen aus internationalen, nationalen und lokalen Schulpolitiken, die sich auf die Schulpraxis auswirken; der Beanspruchung von Expertise aus verschiedenen Disziplinen wie Pädagogik, Sozialarbeit, Psychologie, Medizin usw.; und aus Praktiker*innen, die all diese unterschiedlichen Ideen in der Praxis umsetzen. Das theoretische Konzept der Street-Level Bureaucracy bzw. Organisation beschreibt nicht nur die Situation der Verwaltung, sondern auch die ambivalente und mehrdeutige Situation von Praktiker*innen bei der Umsetzung politischer Agenden wie SPF und ihre eigene inklusionsorientierten Überzeugung. Das Dissertationsprojekt erforscht diese Ambivalenz systematisch im Kontext der Erziehungswissenschaften im Allgemeinen und der Lehrer*innenbildung im Besonderen vor dem Hintergrund eines inklusiven Paradigmas. Es führt zu zwei Hauptforschungszielen:

·         Eine Untersuchung von street-level bureaucracy anhand der österreichischen und deutschen SPF-Verfahren vor dem Hintergrund globaler und menschenrechtlicher Anforderungen an inklusive Bildung

·         Forumlierung von Empfehlungen zur Reform der traditionellen Diagnostik hin zu einem inklusiven Assessment, die Praktiker*innen unterstützt Inklusion umzusetzen

Ein multiperspektivisches Forschungsdesign verspricht relevante Ergebnisse in Bezug auf die beiden Zielsetzungen. Das Projekt beginnt mit einer Sekundäranalyse empirischer Daten aus einem Erasmus+ Projekt Inclusive Assessment Map. Der Datensatz besteht aus Fokusgruppen mit Schuladministrator*innen, Lehrer*innen und Schüler*innen aus Österreich. Die Pilotstudie eröffnet das wenig erforschte Feld der Schulverwaltung bzw. -bürokratie und deren Relevanz für die Umsetzung des internationalen Rechts auf inklusive Bildung im österreichischen und deutschen Schulsystem. Zweitens schematisiert eine Narrative Literaturerecherche das Forschungsfeld der Schulverwaltung/ Bürokratie und inklusiver Bildung, indem zum einen der Stand der Forschung und zum anderen die theoretischen Hintergründe identifiziert und kritisch diskutiert werden. Die relevante Literatur umfasst nicht nur wissenschaftliche Publikationen, sondern auch politische Strategiepapiere. Diese Dokumente wiederum bilden den Ausgangspunkt für die Umsetzung von Bildungsstrategien und geben Hinweise auf bildungspolitische Entscheidungen auf nationaler und lokaler Ebene. Daher liefert, drittens, eine Politikfeldanalyse verwertbares Wissen, um die Umsetzung von Ideen – in diesem Fall der schulischen Inklusion – von internationalen Rechten in die nationale/lokale Politik in die Praxis zu untersuchen. Das Dissertationsprojekt schließt mit einer weiteren und zusätzlichen empirischen Ergebung qualitativer Daten ab, welcher aus Expert*inneninterviews besteht. Die Expert*inneninterviews ermöglichen vertiefende und multiperspektivische Einblicke in das komplexe und vielschichtige Forschungsfeld der Schulverwaltung und Inkluison. In der Tradition der Grounded Theory-Methode allgemein und der Situationsanalyse spezifisch, erfolgt der Forschungsprozess in zirkulierenden und nicht linearen Forschungsaktivitäten.